Der folgende Artikel wurde in der Zeitschrift "Der Hund" veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin, Frau Raphaela Oswald, dürfen wir ihn hier wiedergeben.
In immer mehr Tierheimen bleiben die Türen der Hundehäuser für Besucher geschlossen. Diese Praktik soll keine dunklen Geheimnisse verbergen, sondern gehört zu einer neuen Vermittlungsstrategie, die Raphaela Oswald Ihnen vorstellt.
Für potentielle Hundebesitzer ist es in den meisten Tierheimen normal, sich ihren künftigen Mitbewohner durch die Zwingertür auszusuchen. Im besten Fall gehen sie, begleitet von einem Tierpfleger, durch luftige Außenanlagen. Im schlechtesten Fall stehen sie in einem engen Hundehaus zwischen den Zwingern und müssen sich alleine zurechtfinden. Für die Wahl des vierbeinigen Mitbewohners ist beim „Hundeshopping“, wie Gegner dieser Vermittlungsart sie abschätzig nennen, der erste Eindruck entscheidend. Hunde, die sich besonders wild gebärden, ängstlich im Zwinger verkriechen oder nicht dem Schönheitsideal entsprechen, fallen durch das Raster.
Die Tür bleibt zu
Um die Vermittlungschancen für diese Vierbeiner zu verbessern, setzen immer mehr Tierheime auf die Individualvermittlung. Dabei ist das Betreten des Hundehauses für Besucher absolut tabu.
Die Tierheimbewohner können auf der Homepage in Augenschein genommen werden - welche der Interessent zu Gesicht bekommt, entscheidet sich erst nach einem ausführlichen Beratungsgespräch. Mit einem
Tierpfleger erarbeiten die Besucher ein Profil ihres "Traum-Vierbeiners": gewünschte Größe, ungefähres Alter, ob er besonders kinderlieb sein soll oder ob Wert auf bestimmte andere Eigenschaften
gelegt wird. Wie und wo der Hund in Zukunft leben soll, wird ebenfalls abgeklärt.
Anhand der gemachten Angaben wählt der Tierheimmitarbeiter geeignete Kandidaten aus. Mit Hilfe von Fotos können sich die Interessenten ein erstes Bild machen und entscheiden, welche Hunde sie kennen
lernen möchten. Das erste Treffen findet in einem ruhigen Freigelände oder Zimmer statt, wo Vier- und Zweibeiner sich ausgiebig beschnuppern können. Ab diesem Punkt entscheidet die gegenseitige
Sympathie, ob einer der vorgestellten Tierheiminsassen ein neues Familienmitglied wird.
Der Charakter zählt
Jeder Fremde im Hundehaus bedeutet für die Tiere enormen Stress. In dieser Ausnahmesituation ist es beinahe unmöglich,
wohlüberlegt Bande fürs ganze Hundeleben zu knüpfen. Bei der Individualvermittlung bekommt der Hund die Möglichkeit, einen ersten Eindruck außerhalb des Zwingers in einer fast alltäglichen Situation
zu hinterlassen. Zudem wird die Persönlichkeit der einzelnen Tierheimbewohner in den Vordergrund gerückt.
Wie sehr der optische Eindruck manchmal täuschen kann, beweist das Beispiel von Schäferhund-Briard-Mischling Tom. Mit seinem langen Fell und den lustigen Kippohren wurde er von Außenstehenden immer in dieselbe Schublade gesteckt: "So sieht der typische Familienhund aus - ein echter Kinderkumpel eben", lautete das vorschnelle Urteil von allen Seiten.
Niemand hätte gedacht, dass der junge Rüde mit der Turbulenz einer Familie überfordert ist und dass Kinder ein rotes Tuch für ihn sind.
Solche Dinge
sieht man einem Tier durch die Zwingertür nicht an. Auch bei Welpen lassen sich Interessenten schnell zu einem schlecht überlegten Entschluss hinreißen. Ob aus dem Fellknäuel in zehn Monaten ein
eifriger Jagdhund oder ein stattlicher Herdenschutzhund wird, interessiert oft nicht mehr, wenn das Kindchenschema wirkt.
Der größte Vorteil der Individualvermittlung liegt jedoch darin, dass künftige Hundebesitzer gezwungen werden, sich eingehende Gedanken über ihren neuen Mitbewohner zu machen. Oftmals reichen die
Vorstellungen vom gesuchten Hund beim Erstbesuch im Tierheim über den Wunsch nach einer bestimmten Rasse oder nach einer gewünschten Körpergröße des Tieres nicht hinaus. Im Gespräch zeigt sich jedoch
oft, dass die Realität weitere und oftmals ganz andere Anforderungen an den Hund stellt, damit Zwei- und Vierbeiner miteinander glücklich werden können.
Während für die Hunde die Vorteile eindeutig überwiegen, bringt die neue Vermittlungsart für Tierheimmitarbeiter einige Nachteile mit sich. Oftmals bedarf es - um Gerüchten
vorzubeugen - großer Aufklärungsarbeit, zu erläutern, weshalb die Besucher nicht mehr durch das Hundehaus spazieren dürfen. Tierheime, die nicht jederzeit Einblick gewähren, kommen schnell in
Verdacht, hinter den verschlossenen Türen Missstände zu verbergen.
In großen Tierheimen mit hohen Besucherzahlen gibt es in der Regel auch nicht genügend Personal, um alle Interessenten in dieser Ausführlichkeit zu beraten und zu betreuen. Leider sehen manche
Tierpfleger die Auseinandersetzung mit den Besuchern ohnehin mehr als lästige Pflicht, denn als Chance für ihre Schützlinge, und scheuen daher die intensiven Vorgespräche der
Individualvermittlung.
Lohnender Aufwand
Für die in Tierheimen wartenden Hunde wäre es wünschenswert, würde der neue Trend anhalten und das "Hundeshopping"
weiter aus den Tierheimen verdrängen. Gerade Tiere, die einer eher unbeliebten Rasse angehören oder in großer Zahl in den Zwingern sitzen, wie z.B. Schäferhund-Mischlinge, haben durch die
Individualvermittlung eine größere Chance auf ein neues Zuhause.
Erste Statistiken aus den Tierheimen belegen auch, dass Partnerschaften aus der Individualvermittlung bessere Erfolgsaussichten haben und die Rücklaufquote der vermittelten Hunde sehr gering ist.
Allerdings ist diese Tatsache nicht verwunderlich: Ein passender Charakter ist nun mal eine stabilere Beziehungsbasis als die Farbe des Hundefells.
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Zwischen Vorsicht und Vertrauen: Der richtige Umgang mit einem ängstlichen Hund
Es ist schnell passiert, der Hund erschreckt sich, reißt sich von der Leine los, verschwindet im Wald oder taucht mitten in der Stadt im dichten Verkehrsgetümmel unter. Wir bei TASSO haben täglich
mit solchen Fällen zu tun. Wenn ein Hund in Panik gerät, kann das gefährlich werden. Für ihn, aber auch für Menschen. Weglaufen ist nur eine mögliche Reaktion auf Angst. Einige Tiere frieren ein,
sind unfähig sich zu bewegen und reagieren nicht auf Ansprache. Und wieder andere schnappen in ihrer Verzweiflung zu – Sogenannte Angsthunde sind für ihre Besitzer eine große Herausforderung. „Doch
nicht jeder unsichere Hund ist auch gleich ein Angsthund“, klärt Alexandra Grunow vom K-9 Suchhundezentrum auf. Gerade Hunde, die aus dem Tierschutz adoptiert werden, seien in der Anfangszeit häufig
unsicher. Aber sie müssen nicht zu Angsthunden werden. Die Stellschrauben für das weitere Leben können in der Anfangszeit gerichtet werden. Dabei ist es wichtig, dem Hund viel Zeit zu geben,
damit er Vertrauen fassen kann. „Bedrängen Sie Ihr Tier nicht, und erwarten Sie nicht zu viel von ihm“, rät Alexandra Grunow. „Und nehmen Sie es nicht persönlich, wenn der Hund auch Ihnen gegenüber
anfangs vorsichtig ist. Denken Sie nicht, dass er Sie nicht mag.“ Diese Zeit kann auch mal einige Wochen oder sogar einige Monate in Anspruch nehmen. Das hängt natürlich individuell vom Tier und
seinem Halter ab. Die Sicherheit geht immer vor Besonders in dieser Zeit ist es wichtig, verstärkt für die Sicherheit des Tieres zu sorgen. Der Halter sollte seinem Hund das Gefühl vermitteln, dass
ihm nichts passieren kann, wenn er bei ihm ist. Dazu gehört es auch, dafür zu sorgen, dass er beim Gassi gehen nicht entwischen kann. „Viele Halter glauben schon nach kurzer Zeit, dass sie ihr Tier
kennen und immer wissen, wie es reagiert. Das ist aber häufig nicht so, schließlich gibt unzählige Situationen, in die Hund und Halter geraten können“, weiß Alexandra Grunow, die in ihrem Job fast
täglich nach Hunden suchen muss, die vor Schreck weggelaufen sind. Daher empfiehlt die Expertin besonders sicheres Equipment für die Anfangszeit mit einem neuen tierischen Mitbewohner. Dazu gehören
ein Sicherheitsgeschirr mit zwei Bauchguten und/oder ein sogenanntes Zugstopp-Halsband. Wichtig ist, dass dieses Halsband nicht zu dick ist, denn sonst ist es möglich, dass der Hund sich befreien
kann. „Er darf auf keinen Fall jemals das zweifelhafte ‚Erfolgserlebnis‘ haben, aus dem Halsband oder aus dem Geschirr zu entkommen. Das wird er sonst immer wieder versuchen, und dann bietet ihm das
Halsband auch nicht mehr das Gefühl, sicher zu sein“, erklärt Alexandra Grunow die Hintergründe dieser doppelten Sicherung. Auch die Leine selbst sollte noch einmal zusätzlich eingehängt werden. Am
besten in einem Karabiner an einem Jogginggurt oder in einer weiteren Umhängeleine. Auch Schleppleinen sollten unbedingt noch extra gesichert werden. Zuhause empfiehlt Alexandra Grunow eine
Sicherheitsschleuse zwischen Haustür und Wohnung, so dass der Hund auch hier nicht zufällig ausreißen kann. Denn das kann schnell ein schlimmes Ende nehmen, weiß die Expertin aus zahlreichen
traurigen Einsätzen. Wenn die Halter merken, dass ihr Tier über die anfängliche Vorsichtig hinaus besonders unsicher ist, rät Alexandra Grunow, einen Experten hinzuziehen. „Es reicht manchmal auch
eine Stunde mit einem Hundetrainer. Der kann einem dann aber sagen, wie man am besten mit dem Tier trainieren kann“, erklärt sie. Denn Training muss in so einem Fall sein. Und das kann sich auch
lohnen. „Wenn ein ängstlicher Hund eines Tages seinen Kopf in die eigene Hand legt und Zuneigung zeigt, ist das wirklich ein Wahnsinnsgefühl“, versichert Alexandra Grunow. Und mit genug Zeit und dem
richtigen Training steht dann einer gemeinsamen glücklichen Zeit nichts im Wege. TASSO rät: Nehmen Sie sich Zeit für Ihr unsicheres Tier, und sorgen Sie stets für seine Sicherheit. Verlangen Sie
nicht zu viel von Ihrem Hund, und werden Sie nicht ungeduldig. Fragen Sie einen Experten um Rat, wenn Sie Hilfe brauchen.
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